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Europäische Sumpfschildkröte

Emys orbicularis 

Portrait der Europäischen Sumpfschildkröte

Portrait der einheimischen Europäischen Sumpfschildkröte (© Sylvain Ursenbacher)

Steckbrief

Gefährdungsgrad: vom Aussterben bedroht (CR)

Nationale Priorität: hoch (2)

Merkmale:

  • Rückenpanzer rostbraun, olivbraun oder schwarz mit gelben Punkten oder Flecken
  • Bauchpanzer schwarz, dunkelbraun oder gelb
  • Kopf, Hals, Gliedmassen und Schwanz dunkelbraun oder schwarz, mit auffälligem gelbem Linien- oder Fleckenmuster
  • Jungtiere: deutlicher Mittelkiel auf Rückenpanzer

​​​Verwechslungsarten

Rotwangen-Schmuckschildkröte, nicht einheimisch

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description

Beschreibung

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, ist die einzige Schildkröte mit natürlichem Vorkommen in der Schweiz.

Sie lässt sich leicht von anderen, an verschiedenen Stellen ausgesetzten, fremdländischen Arten unterscheiden. Ihr leicht abgeplatteter, ovaler Rückenpanzer ist in der Mitte am breitesten, die Aussenkanten der Randschilder sind glatt. Der bei Jungtieren sichtbare Kiel längs der Rückenmitte verschwindet mit zunehmendem Alter vollständig. Es gibt Jungtiere mit zwei nur schwach ausgeprägten seitlichen Längskielen. Die mittleren Rückenschilder sind breiter als lang, das fünfte ist das grösste.

Die Grundfarbe des Rückenpanzers variiert von olivbraun bis braun, sie erscheint aber meistens schwarz, mit gelben Tupfen und Flecken, die oft strahlenförmig angeordnet sind. Der Bauchpanzer ist breit, die Brust- und Bauchschilder sind durch ein „Scharnier“ gelenkig verbunden. Der Steg, der Rücken- und Bauchpanzer verbindet, ist verhältnismässig schmal. Die Grundfarbe des Bauchpanzers variiert von schwarz über dunkelbraun bis gelb, die Schilder sind meistens schwarz umrandet. Am zugespitzten Oberkiefer verläuft eine feine Spalte senkrecht vom Kieferrand zu den Nasenlöchern. Die Füsse sind mit Schwimmhäuten versehen, der Schwanz ist verhältnismässig lang.

Kopf, Hals, die Gliedmassen und der Schwanz sind braungelb bis schwarz, mit gelben Tupfen und länglichen Flecken. Die Augen der Weibchen sind meistens gelb, diejenigen der Männchen rot, orange, gelb oder sogar weiss. Die Männchen besitzen einen breiteren Schwanz als die Weibchen, und die Kloakenspalte liegt weiter hinten. Der Bauchpanzer ist konkav (nach innen gewölbt), die Krallen sind deutlich gekrümmt. Der Bauchpanzer der Weibchen ist flach bis leicht konvex (nach aussen gewölbt), die Krallen sind gerade.

Weibchen werden grösser als Männchen. Das grösste je gewogene Weibchen wurde 1933 im Wallis gefunden. Es wog fast 1 kg, der Panzer mass 18,5 cm. Die Durchschnittswerte von Europäischen Sumpfschildkröten einer Genfer Population betrugen 13,4cm/350g bei den Männchen und 15,5cm/630g bei den Weibchen. Derzeit werden dreizehn verschiedene Unterarten anerkannt, die in der Schweiz vorkommenden Tiere gehören zu Emys orbicularis orbicularis.

moeurs

Ökologie

Der jährliche Aktivitätszyklus der Sumpfschildkröte lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. Von Oktober bis März überwintern sie meistens im Wasser, mit Vorliebe im Schlamm. Die Sauerstoffaufnahme erfolgt dann durch die Haut und die Kloake. Bei warmem Wetter tauchen die Tiere bereits im März auf. Von jetzt an nehmen die Aktivitäten langsam zu, beginnend mit der Nahrungsaufnahme, danach folgen Paarungen.

Ausgewachsene sind bekannt als raubgierige Fleischfresser, die auch Aas verzehren. Ihre Nahrung besteht aus wasser­lebenden Wirbellosen und deren Larven, Kaulquappen, Eier von Fischen und Aas. Sie ernähren sich aber auch von Wasserlinsen, Seerosen und Laichkräutern (vor allem Blüten). Jungtiere ernähren sich fast ausschliesslich von kleinen Wirbellosen. In grossen und reich strukturierten Lebensräumen ist die Belastung, welche die Europäischen Sumpfschildkröten für die Amphibienbestände bedeutet, relativ gering.

Die Fortpflanzungszeit dauert von Mitte März bis Mitte Juni, sie kann bis Mitte Juli andauern. Einzelne Paarungen können allerdings bis zum Ende der Aktivitätsperiode beobachtet werden. In unseren Breitengraden sind die Eiablagen auf die beiden Monate Mai und Juni beschränkt, einzelne Eiablagen sind auch im Juli möglich. Normalerweise wird nur ein einziges Gelege in eine Eigrube abgelegt, ausnahmsweise wurden aber auch schon zwei Gelege in einer Grube beobachtet. Die Weibchen können auf der Suche nach günstigen Eiablageplätzen weite Strecken zurücklegen, bis zu 4 km.

Die Gelege bestehen aus 3-19 Eiern mit feiner, leicht elastischer, kalkhaltiger Schale. Sie messen im Durchschnitt 30 - 39 x 18 - 22 mm. Die Jungtiere schlüpfen zwischen August und Oktober, sie messen 20 - 25 mm. Fast fertig entwickelte Embryonen und Neugeborene können auch in der Nestgrube überwintern und erst im darauffolgenden Frühjahr die Eigrube verlassen. Im Südwesten der Schweiz werden die Männchen mit 5, die Weibchen mit 6 - 8 Jahren geschlechtsreif.

Emys orbicularis kann über 50 Jahre alt werden, im Durchschnitt etwa 30 Jahre. Das bisher älteste Tier lebte 120 Jahre lang in einem botanischen Garten im Süden Frankreichs. Diese lange Lebensdauer und die damit verbundene grosse Fortpflanzungsrate erlaubt der Europäischen Sumpfschildkröte auch in Gebieten zu überleben, die für sie nicht ganz optimal sind, wie zum Beispiel in Litauen. Im Sommer beschränkt sich die Aktivität der Sumpfschildkröte hauptsächlich auf die Nahrungsaufnahme und das Sonnenbaden, von Mitte September an stellen sich die Tiere auf die kommende Winterruhe ein, welche im Oktober beginnt.

In der Schweiz sind nur einige wenige sich regelmässig fortpflanzende Populationen bekannt. Eine davon, diejenige im Kanton Genf, gehört, mit einer Dichte von 64 Tieren pro Hektare, zu den grössten Europas.

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Verbreitung

Die Europäische Sumpfschildkröte hat die weiteste Verbreitung aller Sumpfschildkröten (Emydidae) der Alten und der Neuen Welt. Sie umfasst Nordafrika (Tunesien bis Marokko), Europa (Portugal bis Griechenland und bis Litauen), Gebiete im Norden Irans und am Aral-See.

Viele Autoren bezweifeln, dass die heute in der Schweiz lebenden Tiere von ursprünglichen Populationen abstammen, weil sie früher als Nahrung eingefangen und auch gehandelt wurde. Es gibt jedoch Überreste von Schildkröten aus der Steinzeit (6000 bis 6800 Jahre alt), welche in einer Höhle bei Vionnaz gefunden wurden. Teile von Rückenpanzern aus der Bronzezeit (–1050 und –900) wurden in der archäologischen Ausgrabungsstätte von Hauterive-Champréveyres am Ufer des Neuenburgersees entdeckt.

In mittelalterlichen Chroniken wird der Fang von Schildkröten durch Fischer in Estavayer-le-lac bestätigt. Die Tiere wurden meistens mit Netzen oder in Reusen gefangen. Gessner erwähnt 1583 das Vorkommen der Sumpfschildkröte im Kanton Zürich, wo sie bis heute überlebt haben könnte. Neuere Beobachtungen wurden in sechzehn Kantonen registriert, vor allem im Mittelland, im Tessin und in niederen Lagen. Die Art pflanzt sich in den Kantonen GE, TG und AG fort. Versuche haben gezeigt, dass sich die Sumpfschildkröte in vielen anderen Regionen fortpflanzen konnte, namentlich in der Nähe von Basel.

Verbreitungskarte

protection

Gefährdung und Schutz

Die Spezialisten der Europäischen Sumpfschildkröte sind sich darin einig, dass diese Art zu den auffälligsten und interessantesten Reptilienarten Europas gehört und dass ihre Lebensräume dringend vor der weiteren Zerstörung geschützt werden sollten. Sie reagiert sehr empfindlich auf Beeinträchtigungen ihrer Lebensräume. Man kann sie gewissermassen als „Leitart“ betrachten, deren Vorkommen viel über den Zustand eines Feuchtgebietes aussagt. In vielen Ländern, leider auch in der Schweiz, nimmt die Artenzahl stetig ab. Die Fischerei, das Verschwinden von Lebensräumen, die Umweltverschmutzung, das Wegfangen von Tieren und wohl auch die Kälteperiode im Mittelalter mögen dazu beigetragen haben, dass die Sumpfschildkröte in der Schweiz fast ausgestorben wäre.

Das Überleben der heute bestehenden Populationen hängt weitgehend von zwei „Schlüssel“-Lebensräumen ab: Feuchtgebiete mit offenen Wasserflächen und reicher Bepflanzung einerseits und anschliessenden Magerwiesen oder anderer Trockengebiete andererseits. Nur die Bewahrung/Aufwertung solcher Lebens­räume und ihre Vernetzung können das Überleben der bestehenden Populationen sichern.

Die Europäische Sumpfschildkröte gehört zu den in der „Rote Liste der Schweiz“ aufgeführten Arten. Sie ist in der Schweiz vollständig geschützt und darf weder gefangen, noch gehalten, gezüchtet oder freigesetzt werden. Sumpfschildkröten gehören zu den beliebtesten Reptilien und werden recht häufig in Terrarien und Teichen gehalten und auch gezüchtet. Dabei besteht die Gefahr, dass auch Exemplare aus weit entfernten Gebieten mitgehalten werden und sich mit Tieren aus der Schweiz vermischen. Entwichene Tiere könnten mittelfristig auch in einheimische Populationen gelangen und diese im Erbgut verändern.

Der Schutz der Art kann vor allem durch die Erhaltung der bestehenden Populationen und ihrer Lebensräume erfolgen. Dazu gehören:

  • Klärung der heutigen Situation
  • Langfristige wissenschaftliche Begleitung der bestehenden Populationen
  • Schutz und Wiederherstellung günstiger Lebensräume (Feuchtgebiete vernetzt mir Trockenrasen)
  • Wegfangen von Exemplaren fremdländischer Herkunft
  • Betreuung und Förderung bestehender Populationen
  • Gezielte und allgemeine Information der Allgemeinheit und besonders betroffener Gruppen (Verwaltungen, Naturschutzorganisationen, Fischereiverbände usw.)
habitat

Lebensraum

Die Sumpfschildkröte bevorzugt ruhige, pflanzenreiche Gewässer mit schlammigem Grund. Man kann ihr in grossen, vegetationsreichen Teichen, in Seen mit dichter Ufervegetation, den Verbindungskanälen und Teichen zwischen den Seen und schliesslich in Deltas der Flüsse begegnen.

In der Schweiz beschränkt sich ihr Vorkommen auf das Mittelland, auf anschliessende, tiefliegende Gebiete und auf das Tessin. Die meisten Tiere werden beim Sonnenbaden beobachtet. Man kann zwei Arten von Sonnenbaden unterscheiden: im und ausserhalb des Wassers. Meistens liegen sie auf einem schwimmenden Holzstrunk, auf einem Ast, der über das Wasser ragt oder auf Wasserpflanzenhaufen, Dämmen oder Böschungen. Hin und wieder lassen sie sich aber auch einfach auf der Wasseroberfläche treibend aufwärmen. Die Sonnenplätze der Weibchen sind oft auch Paarungsplätze, weil sich die Männchen dort mit den Weibchen zu paaren versuchen. Bei uns gehören im Wasser treibende Holzstämme in Ufernähe oder im Schilf zu den bevorzugten Sonnenplätzen.

Für den Fortbestand einer Population sind aber auch im Bereich der Gewässer liegende Magerwiesen, mit Büschen bestandene Böschungen, warme Haine und sandige Hügel unerlässlich. Solche Lebensräume, sonnig und vor Über- schwemmungen geschützt, sind es, welche von den Weibchen für die Eiablage aufgesucht werden. In reichen und gut strukturierten Lebensräumen bewohnen die Europäischen Sumpfschildkröten Individualbereiche von durchschnittlich 600-1600 m2. Die Männchen haben kleinere Bereiche als die Weibchen.

Publication

Dokumente & Publikationen

Die Sumpfschildkröte - Lebensweise und Schutzmöglichkeiten: Beschreibung der Art, Lebensweise, Lebensraum, Gefährdung und Schutz.

Denis Mosimann 2008: Merkblatt Die Europäische Sumpfschildkröte. infofauna (karch) Centre national de données et d'informations sur la faune de Suisse.

Empfehlung, wie man am besten bei einer gefundenen Schildkröte vorgeht

Sylvain Ursenbacher 2020: Schildkröte gefunden - was tun? info fauna (karch) Centre national de données et d'informations sur la faune de Suisse.

Die Wiederansiedlung und der Schutz der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz basiert auf zwei hauptsächlichen Pfeilern, namentlich dem Schutz bestehender Vorkommen und der Verstärkung von Populationen mittels Wiederansiedlungsprojekten.

karch. 2021: Richtlinien von info fauna - karch zum Schutz und zur Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) in der Schweiz. infofauna (karch) Nationales Daten- und Informationszentrum der Schweizer Fauna.
Fritz U., Schneeweiss N., Podloucky R., Gemel R., Schindler M., Meyer A., Ursenbacher S. 2014: Die Europäische Sumpfschildkröte - Reptil des Jahres 2015. Broschüre. Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde e. V. (DGHT)